Ich konnte Günter Grass noch nie leiden. Nicht, weil seine Werke nur mittelmäßig sind; viele Schriftsteller sind mittelmäßig und man kann sie dennoch mit Gewinn lesen. Sondern wegen dieses penetranten Gutmenschentums, dieser Kombination aus viel Meinung bei wenig Ahnung und völliger Humorlosigkeit. Diese fatale Mischung führt regelmäßig zu haarsträubenden bis abstoßenden Äußerungen, etwa als er im Februar 1990 allen Ernstes behauptete, „wegen Auschwitz“ dürfe es keine Wiedervereinigung geben. Rudolf Augstein entgegnete damals, was Grass betreibe sei keine Politik, sondern Religion. Wahrscheinlich ist es schlichter: Er verarbeitet seine SS-Vergangenheit.
Dass Grass moralisch nichts zu bieten hat, liegt weder daran, dass er als 17jähriger ein Nazi war, noch, dass er es verschwieg – das Problem ist, dass er andere wegen teils harmloserer Verfehlungen an den Pranger stellte. So pöbelte er 1984 den Bundeskanzler Kohl an, weil dieser mit dem US-Präsidenten Reagan einen Soldatenfriedhof besuchte, auf dem auch 40 SS-Gefallene lagen, junge Männer wie Grass einer gewesen war. Soviel Widerlichkeit ist selten.
Nun hat Grass ein Gedicht über Israel geschrieben, das sich nicht reimt, und wird von Feuilleton und Politikteil verrissen. Ich habe kein Mitleid.
Das ganze Gedicht basiert auf einer These: „Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden“. Das ist insofern zutreffend, als dass die schiere Existenz dieses Staates weltweit Moslems in Rage bringt. So wurde auf jeder Wahlkampfveranstaltung der nunmehr regierenden „gemäßigten Islamisten“ – was für eine contradictio in adjecto! – in Tunesien ein antiisraelisches Lied intoniert. Auf jeder. Die Argumentation, dass Israel die Schuld an der Unfriedfertigkeit seiner Gegner trägt, entspricht der islamischen Strafrechtspraxis, Vergewaltigungsopfer wegen Ehebruchs zu steinigen. Folglich werden im Islam Frauen in schwarze Kartoffelsäcke gesteckt, was das Vergewaltigungsrisiko reduziert. Genauso würde die Selbstaufgabe Israels auch die Kriegsgefahr im Nahen Osten beheben.
Diese Logik entspricht freilich nicht westlichen Wertvorstellungen. Für uns ist das eine frauenfeindlich, das andere antisemitisch. Wir stehen für das Recht der Frauen ein, unverschleiert die Öffentlichkeit zu suchen, genauso wie wir das Selbstbestimmungsrecht der Israelis verteidigen. Hier kann es auch keinen Mittelweg geben. Der Islamismus will eine Welt ohne Musik, ohne Minirock, ohne Wein und ohne Israel. Das gehört zusammen, weil es sich um ein geschlossenes Weltbild handelt. Dessen totalem Anspruch setzen wir entgegen das Alte und Neue Testament, die griechische Philosophie und das römische Recht, die scholastische Gelehrsamkeit und die Kunst der Renaissance, die Aufklärung und die technische wie industrielle Revolution, die Menschenrechte und die Unantastbarkeit der Menschenwürde, kurz: die christlich-jüdische Leitkultur. Auch die ist ein umfassendes Wertesystem. Und deshalb geht es in Jerusalem nicht nur im Israel, sondern um die Freiheit Europas.
Grass hat wie viele Linke mit westlichen Werten Probleme. Weil er mit sich selbst nicht im Reinen ist – wegen der frühen SS-Mitgliedschaft? – ist er es auch nicht mit seinem Vaterland, seiner Religion und seiner kulturellen Prägung. Er überträgt seinen Selbstzweifel auf die Gesellschaft und ihre Werte, die ihm nicht wert erscheinen, verteidigt zu werden. Deshalb war Günter Grass 1980 gegen die NATO-Nachrüstung, 1990 gegen die Wiedervereinigung und ist heute gegen die Verteidigung der Freiheit vor dem islamischen Machtanspruch. Für ihn ist das nichts als „westliche Arroganz“. Nicht, weil er eine Alternative hätte, sondern weil er das Eigene hasst.
Ich hingegen halte unser Land, unser Modell des Zusammenlebens, unseren Glauben und unsere moralischen Werte, etwa die Gleichberechtigung der Frauen, für unverhandelbar und verteidigenswert. Deshalb, und nicht wegen historischer Gründe, habe ich volle Sympathie für Israel und fürchte eine atomare Bewaffnung des Irans. Verwirrte wie Grass stiften Verwirrung, mehr können sie nicht. Dass nun auch die Öffentlichkeit das erkennt und Grass einhellig in die Schranken weist ist eine positive Entwicklung.